Endlich endlos

Kein Roman

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(Was bisher geschah, entnehmen Sie bitte den früheren Folgen des Transdemokrat 2015)

Kommissar Erlacher schaut aus dem Fenster seines Büros. Ab und zu holt er tief Luft. Eben hat er den Kopf geschüttelt und gemurmelt: Cliff, mein Gott, Cliff. Erlacher weiß nicht, was er machen soll. Eines Tages musste das herauskommen. Er hat es immer geahnt. Alles kommt eines Tages raus. Diesen Satz hat er in seiner Ausbildung so oft gehört und er hat ihn dann auch so oft selbst ausgesprochen, wenn wieder einmal ein Verdächtiger nach tagelangem Leugnen oder Schweigen im Verhör endlich gestanden hatte: Ja. So war es. Ich war es. 

Es musste herauskommen. Das ist Erlacher also kalr. Nicht klar ist ihm, wie es nun weitergehen wird. Cliff, mein Gott, Cliff! Warum hast du mich verraten? Du hättest dich berufen können auf dein Recht zur Aussageverweigerung. Ganz einfach. Das kennt jeder. Ohne Anwalt sage ich nichts. Warum hast du das nicht getan, Cliff? Und jetzt? Wie geht es jetzt weiter? Klar, es geht immer weiter, irgendwie. Auch so ein Satz, der immer wieder zitiert wird. (Nebenbei: zu Unrecht; beide Aussagen sind falsch. Es kommt längst nicht alles heraus. Und oft genug geht es nicht mehr weiter, es ist Schluss, aus vorbei). Also, wie geht es weiter jetzt?

Das Telefon erlöst Kommissar Erlacher. Nicht nur in Romanen oder Filmen bringt das Telefon die Erlösung. Für einen ratlos Grübelnden. Für einen, dem nichts mehr einfällt. Oder für den Autor. Am Telefon ist Hellmuth Schoen. Man hat eine Leiche gefunden. Am Rheinufer. Mysteriös alles. Es wurde da ein Film gedreht für die ARD-Serie Tatort. Titel: Der Tote am Fluss. Und die Leiche, die jetzt gefunden wurde, ist der Schauspieler Boris Radon, der in dem Tatort den Toten am Fluss spielen sollte.

Mit dem nur in Filmen üblichen, Ratlosigkeit ausdrückenden Blick auf das Telefon legt Erlacher den Hörer wieder auf die Station. Er steht vor seinem Schreibtisch und murmelt "Ich muss... ich muss..." Eben wusste er noch, was er jetzt tun musste. Jetzt hat er es vergessen, er denkt wieder nur an Cliff.  Erlacher lässt sich in seinen Schreibtischsessel fallen. Der gibt sein übliches geschmerztes Quietschen von sich. Das passiert mir in der letzten Zeit zu oft, denkt Erlacher, dass ich etwas vergesse. Weg. Einfach weg. Nicht die geringste Ahnung mehr, was ich tun musste oder wollte. 

Dann fällt es ihm wieder ein, Gottseidank. Er muss natürlich sofort hinausfahren an den Rhein. Zum Tatort des Tatorts. Stöhnend quält er sich aus seinem Sessel. Er kramt in der Jackentasche nach dem Autoschlüssel. Unsinn, er wird natürlich den Dienstwagen nehmen. Er nimmt den Schlüssel von dem Brett an der Wand. Zu fuß geht er in den Fklur und die Treppen vom dritten Stockwerk nach unten. Er geht immer zu Fuß, nach unten. Ein bisschen Bewegung tut dir gut, sagt seine Frau immer. Und er kommt ja sonst zu nichts.

Die Fundstelle der Leiche ist abgesperrt. Die Leiche ist längst in der Anatomie. Ein Polizeibeamter steht Wache. Er nickt nur, als Erlacher seinen Ausweis zeigt. Und als Erlacher ihn fragt, zeigt er ihm die Stelle, wo man den Toten gefunden hat. An 'nem schönen blauen Sonntag liegt ein toter Mann am Strand... Heute ist Dienstag. Und Erlacher weiß auch, dass es in dem Song von Brecht in der Dreigroschen-Oper nicht um einen Badestrand handelt, sondern um eine Straße in London. Und er sieht, dass hier, wo man die Leiche gefunden hat, kein Strand und keine Straße ist. Hier ist nur verwildertes Gestrüpp, fast mannshoch, nur da, wo der Tote lag, flachgetreten. Die Spurensicherung war schon da. Sie hat die üblichen kleinen Schildchen mit den Zahlen in den Boden gesteckt. Da wird er nichts entdecken, was ihn weiterführen könnte. Die Sonne geht langsam unter. Im Westen ziehen dunkelgraue Wolken auf. Ein Gewitter vielleicht. 

Erlacher zuckt mit den Schultern. Dann kann er ja zurück ins Büro. Die Berichte abwarten und dann die Ermittlungen leiten. Das wird ihn auch ablenken von seinem Problem, wie es weitergehen wird, nachdem es herausgekommen ist. Er dreht sich um. Und blickt in die Mündung einer Pistole. Auf ihn gerichtet von dem Polizeibeamten, der hier Wache hält. "Kommen Sie mit, Herr Kommissar. Und geben Sie mir Ihre Waffe. Und keine Spielchen - ich meine das ernst." 

(Fortsetzung folgt)