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von DER TRANSDEMOKRAT

DER
TRANSDEMOKRAT
Nummer 98

"God loves you, and I love you. And you can count on both of us as a powerful message that people who wonder about their future can hear." —George W. Bush, Los Angeles, Calif., March 3, 2004
 22. Juni 2004 
Ungeschützt - Unzensiert - Unzivilisiert
IMPRESSUM: 
Ersteller: 
Ekkes Frank * Hamburgerstr.2-4 * 50668 Köln * Tel. 0221-139 4801 
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Inhalt:
Editorial
Endlich bei der Mehrheit!
The Global Play
Europäer modern
Aus der Welt der Talkshows
So nicht, liebe Jusos!
Der TransDemokrat als SPD-Berater (der 6. Rat)
Die Garanten der Freiheit
Der Kanzler der Bosse - und die Bosse des Kanzlers / Streicheleinheiten der JJ - heute: Nikolaus Piper in der SZ
Schnipsel
Ausbildungspakt / Gut gegeben (1) / Gut gegeben (2) / Zitat (J. Franzen zum Us-Wahlkampf)
Persönliche Anmerkungen
Notizen (17): So schön 
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Editorial

Der TransDemokrat ist heute einmal sehr glücklich: nach bitteren, endlos scheinenden Jahrzehnten ist er zum ersten Mal in seinem - politischen - Leben bei der Mehrheit! Ja: weit über die Hälfte aller Wahlberechtigten und Wahlberechtigtinnen hat bei der Europa-Wahl am 13. Juni seine Stimme nicht abgegeben, sondern für sich behalten - ein eindrucksvolles Ergebnis. Und komme jetzt keine(r) mit der süffisanten Frage, aus welchen unterschiedlichen und fragwürdigen Gründen die Menschen das getan haben! Es fragt doch auch keine(r) , ob all die viel zu vielen WählerInnen der CDU/CSU das gleiche Motiv hatten oder ob es bei den meisten erneut eine schlichte Denkfaulheit war, die sie zum Kreuze kriechen ließ. 

Der TransDemokrat

The Global Play
(früher: Außenpolitik)

Europäer modern

Heute mal statt der ermüdenden Irak-Katastrophen und George-W.-Bush-Klugheiten etwas Positives:
Die Europäische Union
Hier ist wirklicher Fortschritt, unaufgeregt, selbstverständlich. Zum Beispiel: die Frauen sind in ihrem wirklichen Bedeutungsanteil auch auf Regierungsebene vertreten. (Dass viele von ihnen glauben, sie müssten sich rein äußerlich ihren männlichen Kollegen angleichen - Haarschnitt, Kleidung, Gesichtsausdruck - ändert nichts an dem, was dieses Foto beweist: mehr als die Hälfte Europas ist weiblich!
Aus der Welt der Talkshows
(früher: Aus Bund, Ländern und Gemeinden)
So nicht, liebe Jusos! Sooo nicht!!!!
Na, das war wohl mal wieder nix: die Jusos wollten es einmal mehr besonders gut machen und dachten sich diese launige Szene für ihren Kabarettabend aus: laut wehklagend bejammert die gute alte Tante SPD (links, mit symbolträchtigem schwarz-weiß-Outfit), dass sich ihre Lover (rechts: der Gerhard-Schröder-Darsteller - ganz rechts -, der Müntefering halblinks von ihm) nur noch mit sich selbst beschäftigen, statt sie, die seit Jahren Frustrierte, zu begöschen (um es jugendfrei auszudrücken).

Umgehend wurde auch dieser Jugendlümmelverband (vornehm ausgedrückt: Arbeitsgemeinschaft) aus der SPD ausgeschlossen. So wie alle anderen vor ihm, SDS, SHB etc. etc.
(Nur Frau Nahles wurde bisher verschont, die wird noch gebraucht, vermutlich als neue Bildungsministerin, wenn die gegenwärtige Amtsinhaberin, Frau Bulimie oder so ähnlich, wegen fortgesetzter Sprachpanscherei als neue Eurokommissarin für Bildung, Scherz und tiefere Bedeutung nach Brüssel abgeschoben wurde)

DER TRANSDEMOKRAT als SPD-Berater
Mal wieder ein Rat an die ehrwürdige SPD (der 6. von allen):

Höchste Zeit, dass ich wieder einmal meinen Beraterpflichten nachkomme (außerdem ist mein Bargeld gerade knapp)! Ich habe das Ratgeben ein bisschen vernachlässigt - und schon zeigen sich aufs Bitterste die Folgen: kaum mehr als 21 Prozent bei der Eurowahl. Aber wie wir alle wissen ist es nie zu spät, das Richtige zu tun. Und was machen Münte und Schrödi? Genau das Falsche natürlich: weil sie einfach vor der Presse drauf los labern, was sie denken - anstatt mich vorher anzurufen! Lieber Gerhard, was soll denn dieses Rumgeluthere - "ich kann nicht anders"? Das will erstens kein Mensch hören, auch kein Wähler, schon gar keine Wählerin; zweitens stimmt es ja nicht. Können täten wir schon anders, nur wollen haben wir uns verkniffen (frei nach Karl Valentin), oder? Und selbst, wenn es so wäre: seit wann sagen wir denn als Politiker die Wahrheit? Das wäre ja noch blöder. Das hat es noch nicht mal zu Adenauers Zeiten gegeben.
Aber gut, der TransDemokrat wird ja nicht fürs Rumnörgeln bezahlt, sondern für kluge Ratschläge. Zunächst einmal stimmen wir erneut völlig überein mit der deutschen Wirtschaft und Industrie. "Wir bauen auf Sie", hat BDI-Präsident Rogowski gesagt, und hinzugefügt: "Aufhören heißt Untergang, das wünschen wir Ihnen nicht." (SZ-Aufmacher vom 16. Juni, S. 1: "Industrie ermutigt Schröder"). Das wünscht der TransDemokrat ja auch nicht, und wir bauen nicht nur auf IHN, wir bauen IHN auch auf: bist ein toller Hecht, Gerhard! Weiter so! Nur weiter so! Du schaffst es! So sozialdemograziös wie du tanzt keiner auf diesem gefährlich glatten Parkett der Berliner Operettenrepublik! Und deshalb auch heute wieder - und fair wie ich bin zum halben Preis, weil schon einmal gegeben - der Ratschlag:
Weiter so! Immer weiter so! Nicht beirren lassen! Auf Rogowski hören: schwimmen, strampeln, nach Luft schnappen - bloß nicht aufhören! Aufhören heißt Untergang! Und noch gibt es ja dieses dicke, beruhigende Polster von 15 Prozentpunkten über jener Hürde, unter der es erst wirklich ein bisschen problematisch für deine Partei wird, lieber G-Punkt! 
Aber wenn es dann in ein, zwei Jahren soweit ist, dass die alte Tante endgültig unter die 5-Prozent-Marke gefallen ist, dann hast du ja längst einen duften Posten in jener Wirtschaft, die heute so treu auf dich baut!



(Die 500 000 Euro diesmal bitte in kleinen Scheinen - warum geht niemand was an - und mir zuliebe ausnahmsweise auf dem Parkplatz vor der LIDL-Filiale Senigallia; wann, das wisst ihr schon, gell Münte? - Also, bis denn!)
Die Garanten der Freiheit
(früher: Wirtschaft, Markt und Börse)

Der Kanzler der Bosse...

...und die Bosse des Kanzlers

Und passend dazu: die Streicheleinheiten der massenmediokren JJ1- heute:
Nikolaus Piper in der SZ (16. Juni 2004, S.4, Leitartikel)
Ein wunderschönes Werk! Wirklich wert, sich etwas ausführlicher damit zu befassen! Von "Profit und Moral" will er uns künden, der Autor. Mit einem Knall fängt es an: "Ist das noch anständig? Der Pharmakonzern Schering will profitabler werden und streicht deshalb zusätzlich 900 Arbeitsplätze: die Hälfte der Fabriken soll über kurz oder lang geschlossen werden." Der Autor fühlt sich hinein in die Masse der Bürgerinnen und Bürger und erspürt es: "Meldungen wie diese verunsichern die Menschen." Schrecklich! Ja, und was machen sie dann, die armen Menschen? "Die Bürger, die den Gürtel enger schnallen sollen, ziehen eine direkte Linie zur Berliner Reformpolitik, zur Praxisgebühr und Rentenkürzung - und wählen PDS oder gar nicht." Achso! Danke, da brauche ich doch tatsächlich den Nikolaus, weil ich mir selbst nicht erklären kann, wie die PDS auf 44,8 % gekommen ist.
Aber ich lerne weiter und noch viel mehr. Die Europawahl hat, so lese ich, die Wut der Menschen im Protest deutlich gemacht, das sollten "Politiker und Wirtschaftsführer... sehr ernst nehmen". Aber was tun? Nicht Lenin lesen! Nein: "Die Konsequenz kann nun nicht sein, unvermeidliche Schritte hinauszuschieben, wohl aber, das als richtig Erkannte sorgfältiger zu vermitteln." Also das, was ja Münte und Schrödi bereits seit langem in die Mikros mantrieren.
"Das Problem fängt damit an (äh, fängt ein Problem eigentlich an? Na egal), dass die Ökonomie in Deutschland immer noch vor allem als Verteilungsproblem missverstanden wird." Natürlich nicht von den Unternehmern, die unternehmen sich ja vernünftigerweise seit langem (und neuerdings ungehindert) alles, was sie zu brauchen meinen. Da ist ja nix dran zu meckern: "Tatsächlich sind ausreichende Gewinne die Voraussetzung für sichere Arbeitsplätze." Dennoch aber, so wiegt der Nikolaus bedenklich sein weises Haupt, "das bedeutet nicht, dass alles, was schnell höhere Gewinne verspricht, auch richtig ist." Und da wird er mal ganz kritisch mit den Herren: "Auch Manager (also nicht nur wir kleinen Dummerchen, die von Ökonomie keinen Dunst haben) blicken oft nicht durch, sie lassen sich von Moden und Stimmungen leiten. Und wenn die Volksseele so depressiv ist, wie zurzeit in Deutschland, dann können sich dem auch Wirtschaftsführer nicht entziehen."
Jetzt begreifen wir doch hoffentlich blitzartig, warum es bei uns einfach nicht aufwärts gehen will und kann: die Depression unserer Seelen steckt unsere Führer an! Aber nicht genug damit: "Schlechte Politik erhöht den Kostendruck, schlechtes Management nimmt Rahmenbedingungen passiv hin". Oh Gott, was soll man da bloß machen? Zum Glück weiß der Weihnachtsmann Rat: "...hier kommt die Moral ins Spiel." Was z.B. heißt: "Wer von anderen Opfer fordert (also z.B. von Arbeitslosen, Rentnern, Kranken), der muss glaubhaft machen können, dass die Opfer einen Sinn haben (über die Tatsache hinaus, dass sie die anderen reich machen) - in der Politik wie in der Wirtschaft. Dabei kommt es auf so altmodische Dinge an wie Geradlinigkeit, Offenheit und Bescheidenheit." Hören Sie, Herr Ackermann? Was sagen Sie dazu, Herr Rogowski?? Verstehen Sie das, Herr Hundt??? "Braucht der Chef wirklich ein neues Dienstzimmer (mehr hat ja keiner der Wirtschaftsführer für sich in Anspruch genommen und deshalb sein Einkommen etwa auf 11 Millionen im Jahr erhöht), wenn ganze Abteilungen ihren Job verlieren (durch schicksalhaft himmlische Fügung, nicht etwa, weil die Chefs entschieden haben, sie dicht zu machen, weil das "schnell höhere Gewinne verspricht")."
Fazit: "Ja, die Gewinne müssen steigen (was sie bekanntlich seit Jahren tun, ganz anders als die Löhne und Gehälter), wenn es irgendwann (vielleicht schon in wenigen Jahrzehnten) wieder neue Jobs geben soll. Das bedeutet aber noch nicht, dass deshalb gleich alle Bosse mehr verdienen müssen." Wohlgemerkt: nicht alle Bosse gleich. Aber doch eben einer nach dem anderen. Und dann auch richtig satt. Weil: das ist das Gesetz von "Profit und Moral"
Nikolaus, wir haben verstanden! Und jetzt wissen wir auch, woher der volks(seelen)tümlich depressive Ausruf kommt: He! Das ist ja doch echt zum pipern!

1JJ = Jubel-Journalisten (vgl. die "Jubelperser" bei der berühmten Schah-Demonstration im Juni 1967 in Berlin!
Schnipsel 1 2 3
Schnipsel 4
Ausbildungspakt
Laut Vereinbarung zwischen Regierung und Wirtschaft verpflichten sich die Arbeitgeber, in den nächsten 3 Jahren je 30 000 Lehrstellen neu zu schaffen. Eine Garantie wollen sie freilich nicht übernehmen. Deshalb trauert manch einer in der SPD der Ausbildungsplatzabgabe nach.
(SZ vom 17.6.04)

TransD: Das böse Wort vom "Einknicken" macht die Runde. Aber wooo denn!!! Einknicken - das könnte doch nur, wer ernsthaft etwas anderes vorhatte!
 

Gut gegeben! (1)

"Das ist eine Grundsatzfrage, der ich nicht vorgreifen will".
Der finanzpolitische Sprecher der Union, Friedrich Merz, auf die SZ-
Interviewfrage, woher das Geld für die Finanzierung der Krankheits-
kosten kommen solle

TransD: Sehr gut! So geht man als kluger Politiker mit dummen Fragen ahnungsloser Journalisten um!
 

 

Gut gegeben! (2)

SZ: Wie lange wollen Sie noch den Zahlenaugust im Ersten machen?

Schönenborn: Die letzte Bundes-
tags-Wahl haben wir gegen das ZDF verloren. Wir hatten einfach schlechtere Zahlen. Das will ich 2006 wettmachen."

TransD: Sehr, sehr gut! Der WDR-Chefredakteur nimmt es sportlich. So hat er echte Chancen, irgendwann mal noch ein richtiger Journalist zu werden.
 

 

Zitat

"Wir sehen uns einer Gruppe von Leuten gegenüber, die glauben, gewinnen zu können, indem sie das System mit Lügen überfluten. Die schiere Anzahl dieser Lügen überfordert die Kapazität der Medien, sie dafür zur Rede zu stellen.
Dies - in Verbindung mit einer vollkommen unverantwortlichen Finanzpolitik - macht die Bush-
Administration extrem gefährlich und kann diesem Land in den nächsten vier Jahren irreparablen Schaden zufügen."
Der Autor Jonathan Franzen ("Die Korrekturen") zur Frage, warum er sich im Wahlkampf in den USA (gegen Bush) engagiert.

   Persönliche Anmerkungen


Nicht nur ein neues Jahr steht an: ein neuer Lebensabschnitt. Italien - ein neues, noch weithin unbekanntes Land; ein neues Zuhause, neue Nachbarn. Nicht mehr als Besucher hier, als Tourist, nicht mehr die Unverbindlichkeit, nicht mehr das Bewusstsein, jederzeit zurückkehren zu können in eine vertraute, bekannte Lebensform. 
Herausforderung, selbstgewählt: sich einlassen auf radikale Veränderung. Neugier und Spannung, zugleich die alten Ängste. Ich bleibe ja, der ich war. Was und wie ich geworden bin, kann ich nicht ablegen. Ich habe mich mitgenommen hierher.
Herantasten an das Andere, es erfahren, erleben, verarbeiten, täglich neu der Versuch, es zu begreifen. Die kleinen Banalitäten ebenso wie die existenziellen Unterschiede. Eine Hilfe dabei: Reflexionen, Notizen, Berichte, Beobachtungen.
Notizen (17): So schön

Eine der schönsten Schöpfungen der BRD-Lyrik ist das kleine Werk „Heimweh“, uns geschenkt in den frühen 50er Jahren des letzten Jahrhunderts von dem Sänger Freddy Quinn. Noch heute, im Jahr 2004, kann ich das nicht singen, ohne dass sich in die unüberhörbare Ironie – verdeutlicht auch durch den Schubdiduba-Chor des jeweils anwesenden Kleinpublikums, das so hingebungsvoll das erforderliche „So schön… schön war die Zeit“ dazuhaucht – eine Ernsthaftigkeit hineinmischt, die für Angehörige meiner Generation ganz selbstverständlich ist, anderen aber oft ganz unbegreiflich bleibt (wenn sie sie überhaupt bemerken).
Wie oft ich dieses Werk inzwischen intoniert habe, weiß ich nicht. Aber ich erinnere mich an ganz viele unvergessliche Stunden damit, an eigentlich so spröden und nüchternen Orten wie Frankfurt, Stuttgart, Schwäbisch-Hall, Wilhelmshaven, Bregenz, Schussenried oder Köln (um nur ein paar zu nennen), wo es erklang, als eines der Stücke auf dem Weg zu jenem rauschhaften Finale, nach dem nichts mehr kommen kann: „Marmor, Stein und Eisen bricht“…
Vermutlich ist es die lyrische Wucht, die knappe, schnörkellose Form, verbunden mit einer harmonisch wie rhythmisch ebensolchen Schlichtheit, die das Lied sofort an sämtlichen Sentimental-Tentakeln andocken lässt:
 BRENNEND HEISSER WÜSTENSAND
Großartig! Sofort wissen wir, wo wir sind. Gobi? Sahara? Zwischen Bagdad und Basra? Egal, wir sind auf jeden Fall
 FERN SO FERN DEM HEIMATLAND
Und das in den jenen Zeiten. Wer war denn damals „fern dem Heimatland“? Entweder die letzten Kriegsgefangenen, die noch in Russland waren, oder die ersten Neureichen, die sich bereits nach Rimini volkswagen konnten. Und für beide Gruppen, so unterschiedlich ihre Lage auch sonst sein mochte, galt, dass sie auf die vier Grundelemente des Lebens verzichten mussten:
 KEIN GRUSS KEIN HERZ KEIN KUSS KEIN SCHERZ
Denn
 ALLES LIEGT SO WEIT SO WEIT. -
Ich breche die Gedichtinterpretation hier ab (wer Interesse daran hat, was da noch so alles drinsteckt und mich fragt, kann gegebenenfalls ein privatissime bekommen). Wichtig ist mir hier nur noch der Refrain:
 
 DORT WO DIE BLUMEN BLÜHN, DORT WO DIE TÄLER GRÜN
 DORT WAR ICH EINMAL ZU HAUSE
 WO ICH DIE LIEBSTE FAND, DORT IST MEIN HEIMATLAND
 WIE LANG BIN ICH NOCH ALLEIN
Dieser so plastisch beschriebene Verlust der Heimat – das war es wohl, was (nicht nur mich) an diesem Werk so gepackt hat. So schön… schön war die Zeit, Tonika, Dominante, G-G… Fis-fis-fis-fis… Nur noch übertroffen von der titanenhaften (und gleichzeitig ja auch titanichaften) Schwere des beethovenschen Ta-ta-ta taaaa… Tatata taaaaa…
Warum ich das alles hier erzähle, in diesen italienischen Notizen? Das kann ich erklären! Vor zwei Tagen, gegen Abend, als die langsam sinkende Junisonne die langen Schatten der Olivenbäume und Eichen und Gebüsche in die sattgelb reifen Kornfelder auf den Hügeln ringsum malte, dieses unbeschreibliche Licht, die sanfte Struktur dieser Landschaft, im Vordergrund noch die roten Mohnblumentupfer vor dem riesigen, dunkelgrünen Feld voller Sonnenblumen, deren erste bereits aufgeblüht  sind – an diesem Abend ging es mir durch den Kopf: Hier wo die Blumen blühn, Hügel und Täler grün, hier bin ich endlich zu Hause…
Nein, nein: ich hebe nicht ab! Ich vergesse nicht, dass es kein Paradies ohne Schlange gibt (vor kurzem hat einer der Kater eine solche in die Wohnung geschleppt, ich habe sie – so kaputt wie sie dalag – in einen Eimer bugsiert und sie in diesem unten an einen Haken in zwei Metern Höhe an die Mauer gehängt, um sie später von Einheimischen identifizieren zu lassen; als es ein paar Stunden später so weit war, war der Eimer leer…). Und wenn ich das schöne Lied vom Heimweh auch weiterhin singe und spiele, mit dem neuen Gefühl „So schön… schön ist die Zeit“, dann werde ich dieser heimlichen Ernsthaftigkeit genügend erkennbare Ironie beimischen (etwa durch besondere Inbrunst bei den Zeilen VIELE JAHRE SCHWERE FRON, HARTE ARBEIT, KARGER LOHN), so dass auch die unbestreitbare tiefe Wahrheit und Weisheit gegen Ende des Werkes leicht hinnehmbar wird:
 MIT FREUD UND LEID VERRINNT DIE ZEIT
Ja, doch, so ist es!
So schön.

14. Juni 2004