Endlich endlos

Kein Roman

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Was bisher geschah siehe Folge 1

Jetzt sitzt er also auf der Polizeiwache, vor ihm der Diensthabende und sein Schreibtisch, beide etwa gleich alt und ihrer beider Entsorgung absehbar. Für neue Schreibtische ist kein Geld da. Und für neue Staatsdiener auch nicht, der Nachwuchsmangel wird oft beklagt. Der Beamte schaut sich den Personalausweis an. Gut, sagt er, den Namen hätten wir schon mal. Sie heißen tatsächlich so. Ich hab zuerst gedacht, Sie wollen mich verar­schen.

Nein, nein! antwortet er. Das würde ich nie tun! - Aber sagen Sie mir doch bitte, wie Sie überhaupt auf mich kommen? Wer hat Ihnen denn gesagt, dass ich... und wo ich bin? Und wieso...

Moment, Moment! Moment! Die Fragen stelle ich, nicht Sie!

Na gut, der Befragte lehnt sich auf dem Stuhl zurück. Er grinst: Wenn's mal wieder der Wahrheitsfin­dung dient...

Also weiter. Wo waren Sie gestern Abend, so um zehn Uhr herum. Also 22 Uhr, klar. Also so ungefähr, halbe Stunde mehr oder weniger. Wo waren Sie da?

Zu Hause. Bei mir zu Hause.

Der Beamte stöhnt auf, lehnt sich seinerseits im Schreibtischsessel zurück, der knarzt ebenfalls gequält.

Ich kann's nicht mehr hören. Zu Hause, zu Hause. Und das kann leider leider leider nie­mand bezeugen. Weil – Sie waren natürlich allein. Gaaanz allein. Den ganzen Abend. Sie haben ferngesehen. Erst das Zweite. Dann RTL. Dann die Tagesthemen. Und die Talks­how. Wer hat denn gestern moderiert?

Anne Will.

Na klar. Steht ja in jedem Programm. In jeder Zeitung. Im Internet. Und worum es da ging, das haben Sie leider vergessen. Weil Sie nebenher das Geschirr abgewaschen haben. Denn Sie waren ja zu Hause, natürlich. Und Sie haben natürlich keine Zeugen. Ich kanns nicht mehr hören. In jedem zweiten Krimi: wo waren Sie? Zu Hause. Kann das jemand be­zeugen? Nein. Ich war allein. Ich habe...

Augenblick! Augenblick! So war das nicht bei mir! Ich war zu Hause, ja. Aber nicht allein.

Ach... äh...

Ja. Wir... also wir haben gespielt. Karten gespielt.

Wer wir? Das wir entscheidet. Das wissen Sie doch noch, hoffe ich. Also: wer wir?

Meine Freunde und ich.

Und? Darf ich höflichst um die Namen bitten? Warum rutschen Sie denn so auf dem Stuhl hin und her? Ist Ihnen das etwa unangenehm, dass ich die Namen Ihrer... Ihrer Freunde wissen will?

Ja. Ja doch.

Was heißt: ja? Was sind denn das für Freunde! Ich habe da zum Beispiel überhaupt kein Problem. Mir ist es überhaupt nicht unangenehm, die Namen meiner Freunde zu nennen.

Der Vernommene grinst wieder, er kichert sogar ein bisschen: Na, hihihi, dann machen Sie doch mal...

Was soll ich machen?

Die Namen Ihrer Freunde nennen...

Es tritt eine kurze Stille ein. Der Beamte traut seinen Ohren nicht. Seine beiden Handflä­chen landen mit großem Lärm auf der Schreibtischplatte. Kugelschreiber, Locher, Bleistifte hüpfen erschrocken. Papiere fliehen zu Boden.

Ja, haben Sie noch alle??? brüllt er. Das lass ich mir nicht bieten! Das muss ich mir nicht bieten lassen! Ja, wo sind wir denn?! Frechheit! Das ist ja... das ist doch...

Dem Polizisten gehen die Worte aus. Es ist jedenfalls nicht strafbar, sagt sein Gegenüber.

So. Nun reichts. Der Beamte hat sich wieder im Griff. Normale Lautstärke. Sachlich: 

Sie haben also mit Ihren Freunden Karten gespielt. Die Namen, bitte. Die Adressen, Telefon­nummern. Ein bisschen flott, ja? Ich hab ja nicht ewig Zeit für Sie. Freund Nummer eins?

Kurzes Zögern. Dann sagt der Vernommene: 

Erlacher. Siegfried Erlacher.

Pause. Stille. Verkehrslärm draußen. Ein Fahrzeug startet mit Martinshorn unten vor dem Gebäude. Der Beamte, leise: 

Nochmal, bitte.

Siegfried Erlacher. Die Telefonnummer müssten Sie eigentlich kennen. Er ist doch Ihr Chef, nicht wahr? Wir treffen uns ein Mal die Woche. Zum Kartenspielen eben. Jeden Donnerstag.

Und... und was spielen Sie? Um Geld?

Um viel Geld, ja.

Poker?

Ja, das ist richtig. Wir pokern.

(Fortsetzung folgt)